Im zur amtlichen Publikation vorgesehenen Urteil BGer 5A_714/2019 (publiziert am 29. Juni 2020) befasste sich das Bundesgericht im Zusammenhang mit einem Verfahren um definitive Rechtsöffnung mit der Frage, ob die Rechtskraft eines beim Bundesgericht angefochtenen Entscheids der Berufungsinstanz grundsätzlich mit dem Entscheid der Berufungsinstanz oder erst mit dem Entscheid des Bundesgerichts eintritt. M.a.W. war strittig, ob es sich bei der Beschwerde in Zivilsachen um ein ordentliches Rechtsmittel handelt.
Kurzantwort
Die gegen Leistungs- oder Feststellungsurteile ergriffene Beschwerde in Zivilsachen an das Bundesgericht stellt kein ordentliches – d.h. den Eintritt der Rechtskraft hemmendes – Rechtsmittel dar. Die Rechtskraft tritt grundsätzlich mit dem Entscheid der Berufungsinstanz ein.
Dies ergibt sich namentlich aus der Tatsache, dass die Beschwerde gemäss Art. 319 ff. ZPO und die gegen Leistungs- oder Feststellungsurteile ergriffene Beschwerde in Zivilsachen an das Bundesgericht hinsichtlich ihrer Eigenschaften sehr ähnlich sind.
Sachverhalt
Mit Eheschutzentscheid vom 8. Februar 2013 verpflichtete das Zivilgericht Basel-Stadt den Ehemann A., seiner Ehefrau B. ab 1. Februar 2013 einen monatlich vorauszahlbaren Unterhaltsbeitrag von Fr. 20’000.00 zu bezahlen. In der Folge wurde die Ehe der Parteien mit Entscheid des Zivilgerichts Basel-Stadt vom 25. Oktober 2017 geschieden. Das Zivilgericht wies das Unterhaltsbegehren von B. ab und stellte fest, dass sich die Parteien gegenseitig keine nachehelichen Unterhaltsbeiträge schulden. Mit Entscheid des Appellationsgerichts des Kantons Basel-Stadt vom 3. Juli 2018, eröffnet am 18. Juli 2018, wurde die von B. dagegen erhobene Berufung abgewiesen. Gegen den Berufungsentscheid reichte B. mit Eingabe vom 14. September 2018 Beschwerde in Zivilsachen beim Bundesgericht ein.
Nachdem die Zahlung des Unterhaltsbeitrages für den Monat August 2018 ausblieb, wurde A. auf das entsprechende Betreibungsbegehren von B. vom 13. August 2018 hin mit Zahlungsbefehl des Betreibungsamts Basel-Stadt aufgefordert, den Unterhaltsbeitrag für den Monat August 2018 von Fr. 20’000.00 zu begleichen. Als Forderungsurkunde nannte der Zahlungsbefehl den Eheschutzentscheid des Zivilgerichts vom 8. Februar 2013. Bei der Zustellung des Zahlungsbefehls durch das Betreibungsamt am 6. September 2018 erhob A. Rechtsvorschlag.
Mit Rechtsöffnungsgesuch vom 27. September 2018 ersuchte B. um Erteilung der definitiven Rechtsöffnung. Mit Entscheid vom 30. Januar 2019 wies das Zivilgericht Basel-Stadt das Rechtsöffnungsgesuch ab.
Gegen diesen Entscheid erhob B. am 20. Mai 2019 Beschwerde beim Appellationsgericht Basel-Stadt. Darin beantragte sie die Aufhebung des angefochtenen Entscheids und die Gutheissung ihres Gesuchs um definitive Rechtsöffnung. In weitgehender Gutheissung der Beschwerde hob das Appellationsgericht mit Entscheid vom 7. August 2019 den Entscheid des Zivilgerichts auf und erteilte B. definitive Rechtsöffnung für Fr. 20’000.00.
Mit Beschwerde in Zivilsachen vom 16. September 2019 ist A. an das Bundesgericht gelangt. Der Beschwerdeführer beantragt, der Entscheid des Appellationsgerichts sei aufzuheben und das Rechtsöffnungsgesuch von B. (Beschwerdegegnerin) abzuweisen.
Erwägungen
Das Bundesgericht erwog zunächst, dass aufgrund des zu tiefen Streitwert (vgl. Art. 74 Abs. 1 lit. b BGG) die Beschwerde in Zivilsachen nur zulässig ist, wenn sich eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung stellt (Art. 74 Abs. 2 lit. a BGG). Diese Voraussetzung sei vorliegend erfüllt, da sich im Zusammenhang mit der Voraussetzung des Vorliegens eines definitiven Rechtsöffnungstitels die bislang nicht geklärte Rechtsfrage stellt, ob die Rechtskraft eines beim Bundesgericht angefochtenen Entscheids der Berufungsinstanz grundsätzlich mit dem Entscheid der Berufungsinstanz oder erst mit dem Entscheid des Bundesgerichts eintritt (E. 1).
Anlass zur Beschwerde gibt die Frage, ob gestützt auf den Eheschutzentscheid vom 8. Februar 2013 für den in Betreibung gesetzten Unterhaltsbeitrag des Monats August 2018 die definitive Rechtsöffnung erteilt werden durfte oder nicht. Dies vor dem Hintergrund, dass das Appellationsgericht mit Berufungsentscheid vom 3. Juli 2018, eröffnet am 18. Juli 2018, erkannt hat, dass der Betreibenden kein Anspruch auf nachehelichen Ehegattenunterhalt zusteht. Strittig ist mithin, ob die Betreibende zum massgeblichen Zeitpunkt im Besitz eines vollstreckbaren Titels im Sinne von Art. 80 SchKG war.
- Das Appellationsgericht hat dies mit der Begründung bejaht, dass der Entscheid vom 3. Juli 2018 aufgrund der von der Betreibenden dagegen erhobenen Beschwerde in Zivilsachen nicht in Rechtskraft erwachsen sei und der im Eheschutzentscheid angeordnete Ehegattenunterhalt daher während der Dauer des bundesgerichtlichen Verfahrens fortgelte.
- Demgegenüber stellt sich der Beschwerdeführer mit der Erstinstanz auf den Standpunkt, der Entscheid vom 3. Juli 2018 sei spätestens mit dessen Eröffnung in Rechtskraft erwachsen; gleichzeitig sei damit der im Eheschutzentscheid angeordnete Ehegattenunterhalt mit Wirkung ex nunc dahingefallen.
Ob vor Ausfällung des Rechtsöffnungsentscheids ein vollstreckbarer gerichtlicher Entscheid gemäss Art. 80 Abs. 1 SchKG vorliegt, hat das Rechtsöffnungsgericht von Amtes wegen zu prüfen (E. 2.1) Als Grundsatz gilt, dass der mit Eheschutz- oder vorsorglichem Massnahmeentscheid festgesetzte Ehegattenunterhalt dahinfällt und durch eine allfällige Scheidungsrente ersetzt wird, sobald das Scheidungsurteil bezüglich der Unterhaltsregelung formell rechtskräftig wird (E. 2.2).
Entscheide werden nach der klassischen Terminologie formell rechtskräftig, wenn gegen sie kein ordentliches Rechtsmittel mehr zur Verfügung steht (E. 2.3.1).
Das BGG enthält keine Legaldefinition der ordentlichen Rechtsmittel. Die in Art. 119 BGG verwendete Terminologie der „ordentlichen Beschwerde“ dient einzig der Abgrenzung zur zur subsidiären Verfassungsbeschwerde (E. 2.3.2).
In erster Linie hat die Vorinstanz die Qualifikation der Beschwerde in Zivilsachen als ordentliches Rechtsmittel aus einer Gesamtbetrachtung der Eigenschaften des Rechtsmittels abzuleiten versucht. Aufgrund der sehr weiten Beschwerdegründe, insbesondere Verletzung des gesamten Bundesrechts, sowie der reformatorischen Kompetenz des Bundesgerichts sei die Beschwerde in Zivilsachen trotz des grundsätzlich fehlenden Suspensiveffekts auch betreffend Leistungs- und Feststellungsklagen als ordentliches – d.h. den Eintritt der Rechtskraft hemmendes – Rechtsmittel einzustufen (E. 2.3.3).
Demgegenüber hat sich das Bundesgericht in zahlreichen Entscheiden auf den Standpunkt gestellt, dass die Beschwerde in Zivilsachen, sofern sie sich nicht gegen ein Gestaltungsurteil richtet (Art. 103 Abs. 2 lit. a BGG), die formelle Rechtskraft eines angefochtenen Beschwerde- oder Berufungsentscheids von Gesetzes wegen nicht hemmt. Freilich könne das Bundesgericht neben der Vollstreckbarkeit auch die Rechtskraft eines kantonalen Leistungsurteils von Amtes wegen oder auf Antrag einer Partei hin aufschieben (vgl. Art. 103 Abs. 3 BGG). Solange dies nicht geschehen sei, bleibe das kantonale Urteil jedoch rechtskräftig und vollstreckbar. Diese Rechtsprechung wird von einem bedeutenden Teil der Lehre als massgeblich erachtet (E. 2.3.4).
Nachfolgend weist das Bundesgericht daraufhin, „dass das Rechtsmittelsystem des schweizerischen Zivilprozesses (einschliesslich der Beschwerde in Zivilsachen an das Bundesgericht) ein stimmiges Ganzes ergeben soll“. So knüpft auch die Botschaft vom 28. Juni 2006 zur schweizerischen Zivilprozessordnung zur Unterscheidung zwischen ordentlichen und ausserordentlichen Rechtsmitteln am Kriterium der aufschiebenden Wirkung an.
Das Bundesgericht erachtet die Argumentation der Vorinstanz insbesondere deshalb als nicht stichhaltig, da die Beschwerde gemäss Art. 319 ff. ZPO und die gegen Leistungs- oder Feststellungsurteile ergriffene Beschwerde in Zivilsachen an das Bundesgericht hinsichtlich ihrer Eigenschaften sehr ähnlich sind:
- Fehlende von Gesetzes wegen bestehenden aufschiebenden Wirkung (Art. 325 Abs. 1 ZPO bzw. Art. 103 Abs. 1 BGG);
- weitgehend identische Prüfungsbefugnis (vgl. Art. 320 lit. a ZPO bzw. Art. 95 BGG betreffend Rechtsfragen und Art. 320 lit. b ZPO bzw. Art. 97 Abs. 1 BGG betreffend Tatfragen)
- Befugnis des Gerichts, (auch) reformatorisch zu entscheiden (Art. 327 Abs. 3 ZPO bzw. Art. 107 Abs. 2 BGG).
Des Weiteren sind zahlreiche Entscheide streitwertunabhängig bloss mit Beschwerde anfechtbar (vgl. Art. 309 lit. a und b ZPO), weshalb es von der Rechtsmittelsystematik her nicht logisch wäre, wenn zweitinstanzlich lediglich ein ausserordentliches, im Verfahren vor Bundesgericht dann aber plötzlich ein ordentliches Rechtsmittel gegeben wäre (E. 2.3.5).
Somit ist festzuhalten, dass die Verpflichtung zur Zahlung von Unterhalt gemäss Eheschutzentscheid vom 8. Februar 2013 mit dem bereits der Erstinstanz vorgelegten Entscheid des Appellationsgerichts vom 3. Juli 2018 (eröffnet am 18. Juli 2018) dahingefallen ist. Für den gestützt auf den Eheschutzentscheid in Betreibung gesetzten Unterhalt betreffend August 2018 lag im massgeblichen Zeitpunkt daher kein vollstreckbarer Titel im Sinne des Art. 80 SchKG vor. Dass das Appellationsgericht die Rechtsöffnung auf Beschwerde der Betreibenden hin gleichwohl erteilt hat, hält vor Bundesrecht nicht stand (E. 2.4).
Die Beschwerde ist gutzuheissen (E. 3).
Das Urteil ist zur amtlichen Publikation vorgesehen.