Im zur amtlichen Publikation vorgesehenen Urteil BGer 4A_416/2019 (publiziert am 18. Februar 2020) befasste sich das Bundesgericht mit der Frage, ob der Kläger an der bereits anberaumten Schlichtungsverhandlung teilnehmen muss, wenn der Beklagte vorgängig ausdrücklich erklärte, er werde der Vorladung der Schlichtungsbehörde keine Folge leisten und an der Schlichtungsverhandlung nicht teilnehmen.
Kurzantwort
Erklärt der Beklagte gegenüber der Schlichtungsbehörde vorab, er werde an der einberufenen Schlichtungsverhandlung nicht teilnehmen, hat die Schlichtungsbehörde am bereits festgesetzten Termin festzuhalten und die Parteien allenfalls erneut auf die Erscheinungspflicht aufmerksam zu machen. Die Schlichtungsbehörde darf den Kläger in diesem Fall nicht von der Schlichtungsverhandlung dispensieren und der Kläger hat trotz Mitteilung des Beklagten, er werde nicht kommen, an der Verhandlung teilzunehmen, allenfalls einzig um die Klagebewilligung abzuholen.
Sachverhalt
A. (Kläger, Beschwerdeführer) stellte am 20. September 2018 ein Schlichtungsgesuch am Friedensrichteramt Kreis IX des Kantons Aargau. Er machte darin geltend, B. (Beklagter, Beschwerdegegner) habe ihm aus Vertragsverletzung Fr. 30’000.– zu bezahlen, unter Vorbehalt des Nachklagerechts.
Mit Schreiben vom 1. Oktober 2018 teilte der Rechtsvertreter des Beklagten dem Friedensrichter mit, dass weder der Beklagte noch er selbst an der Friedensrichterverhandlung teilnehmen werde. Dieses Schreiben stellte der Friedensrichter dem Rechtsanwalt des Klägers zu. Dieser beantragte mit Schreiben vom 23. Oktober 2018, sein Mandant und er seien vom persönlichen Erscheinen an der Schlichtungsverhandlung zu dispensieren und es sei ihm ohne Verhandlung direkt eine Klagebewilligung auszustellen. Am 29. Oktober 2018 erteilte der Friedensrichter dem Kläger die Klagebewilligung. Er verfügte dabei in Dispositivziffer 1 ausdrücklich, dass dem Kläger „ohne durchgeführte Schlichtungsverhandlung die Klagebewilligung erteilt“ werde.
Gestützt auf diese Klagebewilligung reichte der Kläger am Bezirksgericht Kulm Klage ein. Er begehrte, der Beklagte sei – unter Vorbehalt des Nachklagerechts – zu verpflichten, ihm Fr. 30’000.– zu bezahlen.
Der Präsident des Bezirksgerichts trat mit Entscheid vom 18. März 2019 mangels gültiger Klagebewilligung auf die Klage nicht ein. Die dagegen vom Kläger erhobene Berufung wies das Obergericht des Kantons Aargau mit Entscheid vom 13. August 2019 ab.
Gegen den Entscheid des Obergerichts erhob der Beschwerdeführer Beschwerde in Zivilsachen an das Bundesgericht.
Erwägungen
Gemäss Art. 204 Abs. 1 ZPO müssen die Parteien grundsätzlich persönlich zur Schlichtungsverhandlung erscheinen, sodass ein persönliches Gespräch zwischen den Parteien möglich wird (E. 3.1).
Die Säumnisfolgen sind für Kläger und Beklagten in Art. 206 ZPO unterschiedlich geregelt: Ist der Kläger säumig, gilt das Schlichtungsgesuch als zurückgezogen; das Verfahren wird als gegenstandslos abgeschrieben (Art. 206 Abs. 1 ZPO). Bei Säumnis des Beklagten verfährt die Schlichtungsbehörde gemäss Art. 206 Abs. 2 ZPO, wie wenn keine Einigung zu Stande gekommen wäre (i.d.R. Erteilung einer Klagebewilligung; E. 3.2).
Für die Beantwortung der sich vorliegend stellenden Frage, ist an der Regelung in der Zivilprozessordnung anzusetzen, nach welcher die Parteien gemeinsam auf das Schlichtungsverfahren verzichten können. Das Bundesgericht führt aus, dass der historische Gesetzgeber von einer beschränkten Verzichtsmöglichkeit ausging, indem er in Art. 199 ZPO der Möglichkeit der Parteien, auf das Schlichtungsverfahren zu verzichten, eine klare Grenze setzte. So können die Parteien einzig bei vermögensrechtlichen Streitigkeiten mit einem Streitwert von mindestens Fr. 100’000.– gemeinsam auf die Durchführung des Schlichtungsverfahrens verzichten (E. 4.1.3).
Im Umkehrschluss haben die Parteien daher bei einem Streitwert von unter Fr. 100’000.–, unter Vorbehalt der erwähnten gesetzlichen Ausnahmen von Art. 198 ZPO und Art. 199 Abs. 2 ZPO, in jedem Fall ein Schlichtungsverfahren durchzuführen, auch wenn sie dies gemeinsam nicht wollen (E. 4.1.4).
Allerdings machte der Beschwerdeführer vorliegend seine Klage nicht direkt beim Bezirksgericht anhängig und liess das Schlichtungsverfahren nicht aus. Vielmehr reichte er ein Schlichtungsgesuch gegen den Beschwerdegegner ein. Erst nach Einleitung des Schlichtungsgesuchs teilte der beklagte Beschwerdegegner mit, dass er nicht an der Schlichtungsverhandlung teilnehmen werde. Die Parteien entsagten mit anderen Worten nicht dem Schlichtungsverfahren, sondern sie verzichteten übereinstimmend auf die Schlichtungsverhandlung (E. 4.2.1).
Das Schlichtungsverfahren besteht im Wesentlichen aus der Schlichtungsverhandlung. Teilen die Parteien der Schlichtungsbehörde nach Einleitung des Schlichtungsverfahrens übereinstimmend mit, sie wollten nicht an der Schlichtungsverhandlung teilnehmen, kommt dies einem gemeinsamen Verzicht auf das Schlichtungsverfahren gleich. Ein solcher gemeinsamer Verzicht bei einem Streitwert von unter Fr. 100’000.– ist daher nach Art. 199 Abs. 1 ZPO gesetzlich ausgeschlossen (E. 4.2.2).
Erklärt der Beklagte, er werde an der Schlichtungsverhandlung nicht teilnehmen, darf die Schlichtungsbehörde den Kläger daher nicht von der Schlichtungsverhandlung dispensieren. Sie hat vielmehr am bereits angesetzten Termin festzuhalten und die Parteien allenfalls erneut auf die Erscheinungspflicht (Art. 204 ZPO) aufmerksam zu machen (E. 4.2.3).
Aufgrund der ungleichen Ausgestaltung der Säumnisfolgen für Kläger und Beklagten in Art. 206 ZPO ist hinzunehmen, dass der Kläger, nicht aber der Beklagte, an der Schlichtungsverhandlung teilnehmen muss, wenn er die Klagebewilligung erhalten möchte. Insoweit ist der Kläger, der die Klage gegen den Beklagten einleitete, zu einer Fahrt zur Schlichtungsbehörde gezwungen, auch wenn der Beklagte vorgängig mitteilte, er werde an der Verhandlung nicht erscheinen (E. 4.3.2).
Des Weiteren ergibt sich erst an der Verhandlung, ob ein persönliches Gespräch zwischen den Parteien an der Schlichtungsverhandlung stattfinden kann. Erst dann wird mit letzter Sicherheit klar, ob der Beklagte nicht doch zur Verhandlung erscheint. Es kann nämlich nicht vollständig ausgeschlossen werden, dass er dennoch an der Schlichtungsverhandlung teilnehmen wird (E. 4.4.3).
Zusammenfassend ergibt sich somit: Erklärt der Beklagte gegenüber der Schlichtungsbehörde vorab, er werde an der einberufenen Schlichtungsverhandlung nicht teilnehmen, hat die Schlichtungsbehörde am bereits festgesetzten Termin festzuhalten und die Parteien allenfalls erneut auf die Erscheinungspflicht aufmerksam zu machen. Die Schlichtungsbehörde darf den Kläger in diesem Fall nicht von der Schlichtungsverhandlung dispensieren und der Kläger hat trotz Mitteilung des Beklagten, er werde nicht kommen, an der Verhandlung teilzunehmen, allenfalls einzig um die Klagebewilligung abzuholen (E. 4.5).
Die ausgesprochene Klagebewilligung ist nach dem Ausgeführten ungültig, und es fehlt im Verfahren vor der Erstinstanz somit an einer Prozessvoraussetzung. Die Vorinstanzen sind damit zu Recht auf die Klage des Beschwerdeführers nicht eingetreten (E. 5).
Die Beschwerde ist abzuweisen (E. 6).
Das Urteil ist zur amtlichen Publikation vorgesehen.