Das Bundesgericht hatte sich im zur amtlichen Publikation vorgesehenen Urteil BGer 5A_977/2018 (publiziert am 11. September 2019) mit der Frage zu befassen, ob von der KESB gefällte Entscheide (u.a. betreffend Obhut und Betreuung) nichtig sind, wenn deren Zuständigkeit aufgrund der richterlicher Kompetenzattraktion gemäss Art. 298b Abs. 3 und Art. 298d Abs. 3 ZGB sowie Art. 304 Abs. 2 ZPO nachträglich weggefallen ist.
Kurzantwort
Die von der KESB gefällten Entscheide sind nicht nichtig. Da die KESB hier im Bereich ihrer genuinen Kernzuständigkeit entscheidet, ist der zufolge richterlicher Kompetenzattraktion nachträglich eingetretene Zuständigkeitsverlust nicht «offensichtlich oder zumindest leicht erkennbar» im Sinne der Evidenztheorie. Allerdings sind die Entscheide ggf. anfechtbar.
Sachverhalt
Die 2013 geborene C. ist die Tochter der getrennt lebenden A. und B., unter deren gemeinsamer Sorge sowie alternierender Obhut sie steht. Mit Entscheid der KESB Biel vom 18. November 2015 wurde eine Beistandschaft gemäss Art. 308 Abs. 1 und 2 ZGB errichtet. Auch sonst musste die KESB mehrmals autoritativ Regelungen treffen.
Am 27. Oktober 2017 beantragte die Mutter die Neubeurteilung der Betreuungssituation. Nach Anhörung der Eltern und Eingang diverser Berichte regelte die KESB Biel mit Entscheid vom 15. Juni 2018 die Betreuungsanteile der Eltern neu und erteilte ihnen Weisungen sowie der Beiständin diverse Aufträge.
Die hiergegen erhobene Beschwerde des Vaters wies das Obergericht des Kantons Bern mit Entscheid vom 23. Oktober 2018 ab.
Gegen diesen Entscheid hat der Vater am 27. November 2018 beim Bundesgericht eine Beschwerde erhoben mit den Begehren um Feststellung der Nichtigkeit der beiden vorinstanzlichen Entscheide mangels sachlicher Zuständigkeit.
Erwägungen
Der Vater bringt im bundesgerichtlichen Verfahren vor, dass C. bereits im Mai 2017 ein Schlichtungsgesuch bei der Schlichtungsbehörde und Ende Januar 2018 eine Unterhaltsklage beim Regionalgericht Berner Jura-Seeland eingereicht habe. In der Hauptverhandlung seien auch die Frage der Obhut und der Betreuung Verfahrensgegenstand gewesen. Die Verhandlung sei in der Folge sistiert worden bis bekannt sei, ob er den Entscheid des Obergerichts vom 23. Oktober 2018 anfechte. Offensichtlich hätten sämtliche Beteiligten nicht erkannt, dass die KESB seit der Einreichung der Unterhaltsklage aufgrund von Art. 298b Abs. 3 und Art. 298d Abs. 3 ZGB sachlich gar nicht mehr zuständig gewesen sei. Somit hätten vorliegend offensichtlich unzuständige Instanzen entschieden und deren Entscheide seien folglich für nichtig zu erklären (E. 2).
Das Bundesgericht rekapituliert vorab ihre Rechtsprechung zur Evidenztheorie: «Fehlerhafte Entscheide sind nach bundesgerichtlicher Rechtsprechung in der Regel nur anfechtbar. Als nichtig erweisen sie sich erst dann, wenn der ihnen anhaftende Mangel besonders schwer ist, wenn er sich als offensichtlich oder zumindest leicht erkennbar erweist und die Rechtssicherheit durch die Annahme der Nichtigkeit nicht ernsthaft gefährdet wird. Inhaltliche Mängel einer Entscheidung führen nur ausnahmsweise zur Nichtigkeit. Als Nichtigkeitsgründe fallen vorab funktionelle und sachliche Unzuständigkeit der entscheidenden Behörde sowie krasse Verfahrensfehler in Betracht.»
Bei nicht verheirateten Eltern ist grundsätzlich die KESB zur Regelung von Kinderbelangen bzw. Kindesschutzmassnahmen zuständig (vgl. Art. 315 ZGB), soweit nicht bereits ein Gericht mit den entsprechenden Fragen befasst ist (vgl. Art. 133, Art. 176 Abs. 3, Art. 298 und Art. 315a f. ZGB). Von der generellen aussergerichtlichen Regelungszuständigkeit ausgenommen ist jedoch der Kindesunterhalt: Die KESB kann zwar elterliche Unterhaltsvereinbarungen genehmigen (Art. 134 Abs. 3 und Art. 287 Abs. 1 ZGB), darf aber in diesem Bereich nicht autoritativ entscheiden.
Seit der jüngsten Revision des Kindesunterhaltes ist klar, dass das mit der Unterhaltsfrage befasste Gericht im Sinn einer Kompetenzattraktion auch über die Zuteilungsfragen und die weiteren Kinderbelange entscheidet (Art. 298b Abs. 3 und Art. 298d Abs. 3 ZGB sowie Art. 304 Abs. 2 ZPO). Daraus erhellt, «dass die KESB zwar die Entscheidkompetenz namentlich über die Obhut und die Betreuungsanteile an das Gericht abzugeben hat, sobald dieses mit der Unterhaltsfrage befasst ist. Dennoch lässt sich nicht sagen, dass ein in Verletzung der richterlichen Kompetenzattraktion ergangener KESB-Entscheid über die Obhut und/oder die Betreuungsanteile nichtig wäre, entscheidet doch die KESB hier im Bereich ihrer genuinen Kernzuständigkeit. Zudem wird ihre Entscheidkompetenz in hängigen Verfahren lediglich im Zusammenhang mit Unterhaltsklagen und damit bloss ausnahmsweise derogiert; Grundsatz ist, dass die KESB jene Verfahren, die bei ihr im Zeitpunkt der Einleitung eines gerichtlichen Verfahrens anhängig sind, zu Ende führt (vgl. Art. 315a Abs. 3 Ziff. 1 ZGB).»
«Dass vor diesem Hintergrund der zufolge richterlicher Kompetenzattraktion nachträglich eingetretene Zuständigkeitsverlust jedenfalls nicht «offensichtlich oder zumindest leicht erkennbar» im Sinn der vorstehend zitierten Rechtsprechung war, zeigt sich gerade im Umstand, dass sie bis über das abgeschlossene kantonale Rechtsmittelverfahren hinaus keiner der anwaltlich vertretenen Parteien auffiel. Auch dieser Umstand, d.h. dass sie sich vorbehaltlos auf das Verfahren eingelassen und dieses auch nach Hängigkeit der Unterhaltsklage vorbehaltlos weitergeführt haben, ist bei der Frage der Nichtigkeit zu berücksichtigen» (E. 4).
Zusammenfassend ergibt sich, dass die vorinstanzlichen Entscheide keineswegs nichtig, sondern bloss anfechtbar, sind. Das Bundesgericht musste sich vorliegend allerdings bloss mit der Frage der Nichtigkeit befassen (E. 5.).
Die Beschwerde wird abgewiesen.
Das Urteil ist zur amtlichen Publikation vorgesehen.